Die Bedürfnisse und Möglichkeiten von Jugendlichen haben sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert. Jugendliche bekommen heute mehr Verantwortung auferlegt, sie müssen immer früher wichtige Entscheidungen für ihren weiteren Lebensweg treffen.
Daraus ergibt sich eine neue Lebensrealität, in der Jugendliche die Weiche für ihre eigene Zukunft schon früh stellen müssen. Ihre politischen Partizipationsmöglichkeiten haben jedoch in den letzten Jahren nicht mit dieser Entwicklung Schritt gehalten. Mit den zunehmend verantwortungsvolleren Aufgaben, die Jugendliche und junge Erwachsene in immer jüngeren Jahren übernehmen müssen, wächst aber auch der Anspruch, das politische Umfeld selbst mitzugestalten.
Besonders deutlich wird der politische Gestaltungswille der jungen Generation anhand der weltweiten „Fridays for Future“-Demonstrationen, im Zuge derer auch in Deutschland hunderttausende Schülerinnen und Schüler freitags für Klimaschutz demonstrieren. Initiiert wurde die Bewegung von der erst 16-jährigen Schülerin Greta Thunberg, die in ihrem Heimatland Schweden aber zum Beispiel noch nicht an der Europawahl teilnehmen durfte.
Eine große Gruppe politisch engagierter junger Menschen möchte also unser Land und ihre Zukunft mitgestalten. Nicht nur wird ihr Gestaltungswille in der Politik oft ignoriert, mit Verweis auf das Alter wird diesen jungen Menschen sogar das Grundrecht der politischen Mitbestimmung – das Wahlrecht – versagt. Es wird Zeit, der Jugend eine Stimme zu geben!
Die Forderungen von „Fridays for Future“ werden häufig belächelt. Wir finden zu Unrecht: Zusammen mit knapp 27.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern („Scientists for Future“) stellen wir uns an die Seite der Jugendlichen.
Vor diesem Hintergrund fordern die Jungen Liberalen Hamburg:
I.: Die Flexibilisierung des Wahlalters
Artikel 38 unseres Grundgesetzes[1] normiert den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahlen: Grundsätzlich ist jeder Mensch wahlberechtigt, und nicht etwa nur eine Gesellschaftsschicht oder ein Geschlecht. Das ergibt sich nicht nur aus der Würde jedes einzelnen Menschen, sondern ist auch unabdingbar für die Legitimation unserer Demokratie: Denn je mehr Menschen sich an der Entscheidungsbildung beteiligen, desto mehr Meinungen können gehört und berücksichtigt werden. Vor allem aber erhöht es enorm die Akzeptanz politischer Entscheidungen, wenn vorher alle, die von ihnen betroffen sind, beteiligt wurden. Daher darf das Wahlrecht auch nur in solchen Ausnahmefällen entzogen werden, in denen keine hinreichende Möglichkeit zur Teilnahme am Kommunikationsprozess zwischen Staatsorganen und Volk besteht.[2]
Die Rechtfertigung eines Mindestalters für das aktive Wahlrecht (als Einschränkung der Allgemeinheit der Wahl) ist seit jeher ein Mindestmaß an individueller Reife, das als Voraussetzung für eine mündige Wahlentscheidung angesehen wird.
Mit einem starren Mindestalter wird jedoch eine pauschale und häufig unzutreffende Aussage über die Reife von Millionen von Jugendlichen in Deutschland getroffen. Denn viele dieser Jugendlichen setzen sich bereits weit vor dem Erreichen des Mindestalters mit Politik auseinander, und zwar oft fundierter, als dies manche über der Altersgrenze tun oder je getan haben. Deswegen lehnen wir das Instrument einer Altersgrenze als alleinigen Maßstab für die Bestimmung der individuellen Reife ab.
Stattdessen fordern wir – neben einer Absenkung des aktiven Wahlalters für die Bundestags- und Europawahlen auf 16 –, dass auch jeder Mensch unter einem Alter von 16 Jahren auf Antrag wählen darf.
Das zuständige Amt soll sie auf deren Antrag hin in das Wählerverzeichnis eintragen.
Wir sind der festen Überzeugung, dass junge Menschen, die selbstständig einen Antrag stellen und damit bewusst erklären, ihr Grundrecht wahrnehmen zu wollen, eindeutig nachweisen, dass sie über genügend individuelle Reife verfügen und deswegen am Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen teilnehmen können.
Um einer möglichen Beeinflussung des oder der Jugendlichen vorzubeugen, soll die Briefwahl hierbei aber ausgeschlossen sein. Erforderlich ist demnach die Stimmabgabe im Wahllokal vor Ort.
II.: Die stärkere Beteiligung von Jugendlichen im Bezirk
Seit 2006 sind die sieben Hamburger Bezirke gesetzlich verpflichtet, Kinder und Jugendliche bei Planungen und Vorhaben, die diese berühren, in angemessener Weise zu beteiligen. Hierzu sollen die Bezirksämter geeignete Verfahren entwickeln (§ 33 des Bezirksverwaltungsgesetzes – im Folgenden kurz BezVG).
Die Umsetzung geht nur schleppend voran. Vereinbarungen darüber, wie solche geeigneten Verfahren gestaltet werden sollen, wurden in Eimsbüttel 2011, in Altona 2012, in Bergedorf 2014 und in Mitte gar erst im Dezember 2016 – also 10 Jahre nach Einführung von § 33 BezVG – getroffen. In den übrigen Bezirken Nord, Wandsbek und Harburg fehlen solche Vereinbarungen sogar noch immer gänzlich.[3]
Wir begrüßen ausdrücklich, dass die Bezirke über die zentrale Website „hamburg.de“ über die Partizipationsmöglichkeiten der Jugend informieren und dort – sofern vorhanden – auch den Zugang zu den entsprechenden Vereinbarungen ermöglichen. Geradezu bezeichnend ist es aber, wenn etwa der Bezirk Altona für nähere Informationen auf die sich vermeintlich im Aufbau befindliche Website http://www.jugendbeteiligung-hamburg.de/ verweist,[4] die jedoch schlicht nicht existiert. Zwar ist dieser Ansatz genau richtig, doch erwarten die Hamburger Jugendlichen, dass sich – nunmehr 13 Jahre nach Verabschiedung des § 33 BezVG – endlich etwas tut. Denn noch immer sind viele Jugendliche, obwohl politisch interessiert und zur Mitgestaltung ihrer Umwelt bereit, nicht vertraut mit ihren Partizipationsrechten und den Möglichkeiten, sich politisch einzubringen.
Daher fordern wir im Einzelnen:
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Politische Jugendorganisationen in die Schulen!
Damit Jugendliche sich politisch einbringen können, müssen sie erst einmal wissen, dass und auf welchen Wegen und in welchen Organisationen dies möglich ist. Wer könnte darüber besser informieren als die politischen Jugendorganisationen?
Wir fordern, dass die Bezirke in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Schulen allen Schülerinnen und Schülern ab der 9. Klassenstufe die Gelegenheit bieten, die politischen Jugendorganisationen kennenzulernen. Dafür sollen einmal jährlich Vertreter aller politischen Jugendorganisationen eingeladen werden, um – zum Beispiel im Rahmen eines Workshops – über ihren Verband und politische Partizipation zu berichten.
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Zeitgemäße Internetpräsenz!
Jugendliche informieren sich heutzutage vor allem über das Internet. Deswegen müssen ihre politischen Partizipationsmöglichkeiten, aber auch sonstige politische Informationen, gerade dort in übersichtlicher, gut strukturierter und verständlicher Form zu finden sein.
Die zentrale Website der Freien und Hansestadt Hamburg, https://www.hamburg.de, mithilfe derer die Bezirke diese Informationen bislang bereitstellen, ist extrem veraltet: Schon die Startseite ist zur Hälfte mit Werbung ausgefüllt – was kaum ein anderes Bundesland überhaupt so und keines in diesem Umfang praktiziert –, die Schriftgröße ist deutlich zu klein gewählt und die Struktur aus zwei verschiedenen Ebenen von Reitern ist unübersichtlich. Wir fordern eine umfassende Modernisierung der Website und insbesondere den vollständigen Verzicht auf Werbung.
Darüber hinaus sollte in Bezug auf die Jugendbeteiligung nun endlich das Informationsangebot auf http://www.jugendbeteiligung-hamburg.de/ realisiert werden. Eine eigene Website ist hier insbesondere erforderlich, um den direkten Kontakt zwischen den Bezirken, den Jugendverbänden und den Jugendlichen selbst herzustellen. Beispielsweise können hier auch Möglichkeiten der digitalen Partizipation getestet werden.
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Gestaltungswettbewerbe!
Jugendliche fühlen sich wahr- und mit ihren Interessen ernstgenommen, wenn aus ihren Ideen auch tatsächlich Realität wird. Deswegen fordern wir die Bezirke auf, bei Projekten, die Jugendliche betreffen, also etwa der Gestaltung eines neuen Jugendzentrums, verstärkt auf Wettbewerbe zu setzen, wo sich alle Jugendlichen mit ihren Ideen beteiligen können. Das Konzept des Sieger-Teams soll dann – bei weiterer Kooperation – in die Praxis umgesetzt werden.
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Fragen wir nach!
Viele Jugendliche informieren sich dennoch nicht mehr über Websiten, aber sie haben eigene Ideen, wie sie sich einbringen wollen. Wir wollen mit einer Jugendumfrage auf Bezirkseben erfahren, wie sich junge Menschen informieren, wie sie sich einbringen und beteiligen wollen und die Ergebnisse der Umfrage nutzen um zielgerichtete und niedrigschwellige Angebote für Jugendliche zu schaffen. Wir wollen sicherstellen, dass Jugendliche direkt an der Erstellung der Umfrage beteiligt sind, indem etwa die Bezirksämter mit dem Landesjugendring zusammenarbeiten und eine entsprechende Finanzierung der Umfrage zur Verfügung stellen
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Jugendfonds!
Wir fordern die Bezirke auf, in Kooperation mit den KreisschülerInnenräten und den Jugendverbänden jeweils einen Jugendfonds mit einem angemessen jährlichen Budget aufzusetzen, das die Jugendlichen selbst verwalten und für ihre Projekte nutzen dürfen.
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Schul-AGs zur politischen Beteiligung im Bezirk!
Wir regen an, an den weiterführenden Schulen Arbeitsgemeinschaften einzurichten, die sich mit den politischen Fragestellungen im jeweiligen Bezirk auseinandersetzen. Hier erhalten Jugendliche einen unkomplizierten Zugang zu der Frage, wie ihre Umgebung gestaltet werden soll, und wie sie selbst daran mitwirken können.
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Jährliche Updates!
Wie bereits jetzt schon teilweise der Fall, fordern wir, dass die Bezirke jährlich einen „Update“-Bericht vorlegen, in dem sie über die Projekte gemäß § 33 S. 1 sowie die beschlossenen Verfahren nach S. 2 BezVG unterrichten. Dieser Bericht ist auf der Website zur Jugendbeteiligung zugänglich zu machen.
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13 Jahre nach Verabschiedung des § 33 BezVG endlich Rahmenvereinbarungen in allen Bezirken!
Wir fordern alle Bezirke, in denen Bezirksamt und Bezirksversammlung noch keine Vereinbarung zur Umsetzung des § 33 BezVG getroffen haben, eindringlich auf, dies nun endlich nachzuholen.
III.: Podiumsdiskussionen in jeder weiterführenden Schule
Kaum eine Gelegenheit ist so gut geeignet, Jugendliche für Politik und Wahlen zu begeistern, wie Podiumsdiskussionen im Wahlkampf. Hier zeigt sich immer wieder, dass Jugendliche alles andere als politikverdrossen sind, sondern häufig nur den Anstoß durch eine kontroverse – idealerweise mit Vertretern in ihrem Alter besetzte – Diskussion brauchen, um sich selbst eine Meinung zu bilden und sich politisch für diese einzusetzen. Gleichzeitig sind Podiumsdiskussionen auch eine Gelegenheit, politische Verantwortungsträger und ihren Alltag kennenzulernen.
Daher fordern wir im Vorwege der Bezirks-, Bürgerschafts-, Bundestags- und Europawahlen Podiumsdiskussionen mit Vertretern aller politischen Jugendorganisationen an jeder weiterführenden Schule in Hamburg.
IV.: Mehr Räume für Jugendarbeit in den Bezirken
Die Räumlichkeiten, die in den Bezirken zur Jugendarbeit bereitstehen, reichen häufig nicht aus und sind teilweise nicht ordnungsgemäß instandgehalten. Wir fordern die Stadt und die Bezirke auf, hier nicht zu sparen, sondern vielmehr mit Investitionen in die Jugendarbeit Wertschätzung für das ehrenamtliche Engagement von Jugendlichen auszudrücken. Auch bei der Planung von Neubaugebieten muss von Beginn an mit ausreichend Räumen für die offene Kinder und Jugendarbeit geplant werden. Zudem sollte über die Website zur Jugendbeteiligung die Möglichkeit bestehen, die Verfügbarkeit aller bereitstehenden Räumlichkeiten zu prüfen und diese auch direkt online zu reservieren.
[1] Abs. 1 S. 1: Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt.
[2] BVerfG, Beschluss vom 29. Januar 2019, 2 BvC 62/14.
[3] Siehe auch die Schriftliche Kleine Anfrage von Daniel Oetzel (FDP) an den Hamburger Senat vom 02.02.2016, Drs. 21/3011, abrufbar unter https://www.buergerschaft-hh.de/ParlDok/dokument/51354/umsetzung-des-§33-bezvg.pdf.
[4] https://www.hamburg.de/altona/partizipation/